Essen zum freien Preis: Zahlt sich das aus?

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Der Wiener Deewan und das Café Gagarin setzen in Wien auf ein ungewöhnliches Konzept: Pay-As-You-Wish. Statt fixer Preise bestimmen Gäste, was ihnen Mahlzeit und Atmosphäre wert sind, und fördern so eine Kultur der Fairness und Gemeinschaft.

„Leben und Essen von der Hand in den Mund“, steht in großen Lettern unter dem Fenster des Wiener Deewan, einem pakistanischen Buffet-Restaurant im neunten Bezirk. Eine Anspielung auf das Sprichwort „Von der Hand in den Mund leben“, was so viel bedeutet wie nicht sparen können. Doch genau dort setzt das Konzept der beiden Lokale Wiener Dewaan und Cafe Gagarin an. Menschen, die hierher zum Essen kommen, zahlen keinen Fixpreis. Sie zahlen so viel, wie es ihnen die Mahlzeit im Kontext ihrer finanziellen Situation wert ist. Das Konzept eines frei wählbaren Preises nennt man auch Pay-As-You-Wish oder Pay-As-You-Want.

Mit drei Lokalen des Wiener Deewan und dem Café Gagarin gibt es in Wien nur vier Lokale, die das Pay-As-You-Wish Konzept nutzen. Auf den ersten Blick wenig verwunderlich, kennt man das Konzept doch üblicherweise aus der Kultur- oder Tourismusbranche. So gibt in Berlin beispielsweise Stadttouren, für die man sich den Preis aussuchen kann. 2007 veröffentlichte die britische Rockband Radiohead ihr siebtes Album In Rainbows zum Release als Pay-As-You-Wish – Download. Doch der Wiener Deewan und das Café Gagarin setzen seit mehr als 10 Jahren auf das für die Wiener Gastronomie einzigartige Konzept.

Der Wiener Deewan in der Lichtensteinstraße im neunten Bezirk. Foto: Simon Altorff
Wiener Deewan – pakistanisches Buffet zum freien Preis

„Wenn man unser Lokal betritt, ist es nicht wie in einem 5 Sterne Hotel oder Restaurant“, sagt Afzaal Deewan, Besitzer des Wiener Deewan mit Blick auf die stressige Atmosphäre in zahlreichen anderen Restaurants. Der gebürtige Pakistaner kam 2004 als Asylwerber nach Österreich. 2005 entschied er sich zusammen mit seiner Frau Natalie das erste von mittlerweile drei Lokalen zu eröffnen, das auf freie statt fixer Preise setzt: „Nach meiner Ankunft in Österreich habe ich für ein paar Wohltätigkeitsorganisation gearbeitet. Dort habe ich Spendenboxen gesehen. Die Leute haben gegessen und danach etwas Geld reingeworfen. So sind wir auf die Idee gekommen.“

Der Wiener Deewan bietet seinen Gästen ein mehrmals täglich wechselndes Buffet. Drei vegetarisch/vegane Curries und zwei Fleischcurries stehen stets zur Auswahl. Als Beilage Salat und Naanbrot und zur Nachspeise eine Süßspeise. Eine Auswahl an Getränken gibt es ebenfalls, allerdings werden diese im Gegensatz zu den Speisen zu einem Fixpreis verkauft.

Der Café Gagarin in der Garnisongasse im neunten Bezirk. Foto: Simon Altorff
Miteinander im Café Gagarin

In der Nähe des Wiener Unicampus befindet sich das Café Gagarin. Seit 2012 wird es von den Mitarbeiter:innen als Kollektiv geführt. „Die Idee war es, nach der Übernahme eine kollektive Organisationsstruktur zu schaffen, in der alle mitsprechen dürfen“, erzählt Katrin Rummel, Mitglied des Kollektivs.

Das Miteinander und Fairness stehen für das Kollektiv des Café Gagarin im Mittelpunkt. Das spiegelt sich auch im Essensangebot wider. Laut dem Online-Blog des Lokals beziehen sie ihre Produkte regional und saisonabhängig „aus menschlich, ökologisch und politisch vertretbaren Quellen“ wie landwirtschaftlichen Kollektiven und Vertriebsgenossenschaften.
Den Preis für die Speisen dürfen Gäste selbst wählen. Preise für Getränke sind wie beim Wiener Deewan ebenfalls fix.

Fairnessgefühl beeinflusst Zahlungsbereitschaft

Ohne einer gewissen Richtschnur wäre Pay-As-You-Wish allerdings nicht möglich, räumt Katrin Rummel ein: „In der Gastro arbeitet man sowieso schon in einer sehr gewinnorientierten Wirtschaft, also in einem kapitalistischen System. Deshalb haben wir an der Kasse vorne so einen Zettel mit Preisempfehlungen und die gehen so ab 8 Euro.“ Auch der Wiener Deewan weist seine Gäste auf der Website auf die Kosten hin, die dem Lokal tagtäglich entstehen. So müssen Kellner:innen bezahlt, Erdäpfel geschält, Mieten und Stromrechnungen beglichen, sowie Kühlschränke befüllt werden.

Beide Lokale legen Wert darauf, ihren Gästen eine Orientierungshilfe zu bieten. Pay-As-You-Wish ist ein Konzept, welches auf Gegenseitigkeit beruht. Eine Studie legt nahe, dass Preisempfehlungen die Fairnesswahrnehmung und damit erhöhte Zahlungsbereitschaft der Gäste beeinflussen können.

„Da geht es auch darum, eine gewisse Fairness zu haben“

Gerald Kolar, Sozialpsychologe  

Für den Sozialpsychologe Gerald Kolar ist ein sogenannter Anker die Basis, auf dem ein erfolgreiches Pay-As-You-Wish Konzept aufbaut: „Wenn ich ein wertvolles Produkt erhalte, fühle ich mich zu einer Gegenleistung motiviert, um den Fortbestand zu unterstützen. Qualität und Präsentation dienen als Anker für mein Fairnessgefühl.“

Speiseraum des Wiener Deewan. Foto: Simon Altorff
Pay-As-You-Wish ermöglicht soziale Gerechtigkeit

Die Teuerungen der letzten Jahre sorgt immer öfter dafür, dass bei vielen das Geld knapp wird. Für Pay-As-You-Wish Lokale müsste das weniger Umsatz bedeuten. Gerade auch im Hinblick auf die durschnittliche Inflationsrate von 7,8% im Jahr 2023.

Doch Afzaal Deewan sieht es gelassen, wenn gelegentlich weniger gezahlt wird. Bei täglich 200-300 Gästen wird der Unterschied ausgeglichen. Besonders nach Krisen in Syrien und der Ukraine gab es öfter niedrigere Zahlungen, die durch überdurchschnittlich zahlende Gäste kompensiert wurden.

Einer Studie zufolge spricht man dabei auch von einem „warm glow“, also der Freude am Geben ohne Erwartung einer direkten Gegenseitigkeit. Gerechte Menschen berücksichtigen das Wohlergehen anderer und möchten so zur Gemeinschaft beitragen. Der Preis in herkömmlichen Restaurants ist üblicherweise fix. Man setzt sich nicht genauer damit auseinander. Muss man aber einen freien Preis wählen, beschäftigt man sich als gerechter Mensch automatisch mit Fragen der Fairness und sozialer Gerechtigkeit.

Auch Katrin Rummel vom Café Gagarin findet es in Ordnung, wenn es diese Ausnahmen gibt: „Es wird natürlich auch hin und wieder unterschritten und das ist auch okay. Also zum Beispiel Augustin-VerkäuferInnen die in der Nähe arbeiten, zahlen zwischen 50 Cent und 1,50 Euro für einen Tagesteller. Es soll sich nur nicht das Gerücht verbreiten, im Gagarin zahlt man nur 5€ für ein Essen.“

Essen bringt zusammen

Nicht nur für den Wiener Deewan und das Café Gagarin ist das Pay-As-You-Wish Konzept eine Bereicherung. Durch freie Preise schaffen beide Lokale eine Atmosphäre, in der sich Gäste unabhängig ihrer finanziellen Situation wertgeschätzt fühlen. Man trifft auf Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Vom Straßenmusiker, über Student:innen, bis hin zu Angestellten der Finanzbranche.

„Es fühlt sich ein bisschen so an, als isst man gemeinsam in der Familie“

Studentin zu Gast beim Wiener Deewan

Das Konzept stellt Gemeinschaft, Wertschätzung und Nächstenliebe in den Vordergrund und zeigt, wie moderne Gastfreundschaft funktionieren kann.


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