Lautsprecherdurchsagen, zum Arzt gehen, ein Kinobesuch – für die meisten Menschen sind das alltägliche Dinge, denen sie problemlos nachgehen können. Gehörlose Menschen begegnen hingegen in ihrem Alltag oft Barrieren. Die Wiener Ausstellung „Hands Up“ möchte diese Barrieren aufzeigen und die Berührungsängste zwischen hörenden und nichthörenden Menschen abbauen.
Wenn sich in der Wiener U-Bahn die Türen schließen, blinkt oben ein rotes Licht. Daran können sich gehörlose Menschen orientieren, denn akustische Warnsignale können sie nicht wahrnehmen. Dies ist ein Beispiel für Barrierefreiheit, die den Alltag von gehörlosen Menschen erleichtern soll. Der Großteil der Bevölkerung hat mit dem Thema Gehörlosigkeit aber wenig Berührungspunkte. Die 2018 gegründete Ausstellung „Hands Up“ des Schulungs- und Beratungszentrums „equalizent“ möchte das ändern.
„Nicht schrecken“
Die Teilnehmer:innen der Ausstellung bekommen zu Beginn dicke Kopfhörer, die Geräusche weitgehend unterdrücken. Anschließend bewegt sich die Gruppe 50 Minuten lang durch die verschiedenen Stationen. Geführt werden sie dabei von gehörlosen Guides. Man lernt alltägliche Wörter auf Gebärdensprache, steht auf einer Bühne und spürt den Bass verschiedener Musikrichtungen und erfährt, wie gehörlose Menschen morgens aufwachen – nämlich mittels Vibration statt Klingeln des Weckers. „Ich möchte hörenden Menschen zeigen, dass man sehr wohl mit der Gehörlosen-Community kommunizieren kann“, sagt Guide Alicia. „Es wäre toll, wenn sich hörende Menschen nicht schrecken würden vor der Kommunikation.“
In Österreich leben etwa 450 000 Menschen mit einer Hörbehinderung. Davon sind ca. 8 000 bis 10 000 Menschen gehörlos.
Auf die Frage, was die größten Schwierigkeiten im Alltag von Gehörlosen ist, hat Alicia keine klare Antwort. Man könnte nicht von „dieser einen großen Schwierigkeit“ sprechen. Öffentliche Verkehrsmittel, Freizeitangebote – Barrieren gäbe es überall. Das bestätigt auch Petra Navara, Pressesprecherin des Österreichischen Gehörlosenbundes. Sie spricht von Gehörlosigkeit als eine „unsichtbare Sinnesbehinderung“, die nur eine kleine Gruppe betrifft und daher wenig Aufmerksamkeit erhält. „Im Verkehr, im Bildungswesen, in Restaurants, beim Sport – überall sind gehörlose Menschen aus Information und Kommunikation weitgehend ausgeschlossen.“
Für eine inklusive Gesellschaft
Doch was kann man als Einzelperson tun, um gehörlose Menschen zu unterstützen? „Barrieren aufzeigen“, sagt Navara. Beispielsweise, wenn die Notrufanlage im Lift eines Wohnhauses nur für hörende Menschen geeignet ist und man einen Nachbarn mit einer Hörbehinderung hat. In diesem Fall solle man die Hausverwaltung auf ein Zwei-Sinn-Notrufsystem hinweisen.
„Hands Up“-Guide Alicia betont auch, wie wichtig es ist, junge Menschen miteinzubeziehen. So gibt es die mobile Ausstellung „Hands Up On Tour“, wo die Guides unter anderem Schulen besuchen. Denn wenn schon junge Menschen mit Gehörlosigkeit in Kontakt kommen, stärke das deren Empathie, man werde offener, was wiederum dazu führt, dass man sich eher für die Rechte von gehörlosen Menschen einsetze. „Und wenn jemand motiviert ist Gebärdensprache zu lernen, erleichtert das den Alltag von gehörlosen Menschen sehr“, so Alicia.
Politik in der Verantwortung
„Grundvoraussetzungen, um Barrieren abzubauen, kann nur die Politik schaffen“, meint Alicia. Um eine:n Gebärdendolmetscher:in auf einer Veranstaltung zu haben, brauche es ein Budget. Dieses müsse von der Politik zur Verfügung gestellt werden. Budgets für Übersetzer:innen und Kommunikationsassistenz seien aber generell zu niedrig. Zudem sind es immer die Betroffenen, die sich in der Position der Bittsteller:innen wiederfinden. Auch Petra Navara betont, dass es seitens der Politik zu wenig Bemühungen gebe. Sie vermutet, dass es unter anderem daran liege, dass Gehörlose eine Minderheit sind und daher als Wähler:innensegment vernachlässigbar wären. Doch auch seitens der Verwaltung sieht sie Nachholbedarf: „Österreich nähert sich den Zielen der UN-Behindertenkonvention nur sehr zögerlich. Einerseits auf Bundesebene, aber auch auf Ebene der Bundesländer, welche sich nicht in den Nationalen Aktionsplan Behinderung einspannen lassen wollen.“
Informationen zur Ausstellung „Hands Up“:
- Öffnungszeiten: Dienstag-Freitag, 9:00-16:00 Uhr (letzte Führung)
- ganzjährig
- Besucher:innen benötigen eine Voranmeldung
- Dauer der Tour: ca. eine Stunde
- Gruppengröße: max. 15 Personen
- Ermäßigungen: siehe Website
Weiterführende Links:
- Equalizent Wien
- Website der Ausstellung „Hands Up“
- Österreichischer Gehörlosenbund
- „Ein Museumsbesuch kostet für mich 150 Euro“: Beitrag vom barrierefreien Magazin andererseits über Gehörlosigkeit im Alltag
- Gebärdenwelt.tv: Online Nachrichten-Portal in Gebärdensprache
- Verein BIZEPS: Beratungsstelle für behinderte Menschen und deren Angehörige in Wien
- Verein Kinderhände: Zugang und (Weiter-)Bildung Gebärdensprache für Familien und Pädagog:innen
- Telefon-Dolmetschdienst (Relay Service for Deaf)
Hinweise zur Bebilderung
Beitragsbild: HANDS UP (c) Gerd Schneider
Abbildung 2: HANDS UP (c) Christine Miess