Falsche „Augustin“-Verkäufer: Schaden sie der Zeitung?

Ein Straßenzeitungsverkäufer mit Zeitung und Banknote in der Hand

Die Straßenzeitung „Augustin“ gehört zu Wien wie Würstelstand und Gemeindebau. Sie wird von Menschen mit Armutserfahrung verkauft. Seit Jahren häufen sich jedoch Beschwerden über „falsche“ Verkäufer*innen, die mit der Zeitung betteln. Gefährden sie das Medien- und Sozialprojekt?

Der „Augustin“ bietet sozial Bedürftigen einen niederschwelligen Zugang zu Erwerbsarbeit. Derzeit sind etwa 450 Kolporteur*innen bei der Straßenzeitung registriert und somit berechtigt, sie an definierten Standplätzen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland feilzubieten.

Das Projekt zieht jedoch viel mehr Interessent:innen an, als es aufnehmen kann. In Folge gibt es seit Jahren Beschwerden über nicht registrierte Verkäufer*innen. Diese hatten keine Einschulung in die Verkaufsregeln. Einige von ihnen nutzen die Zeitung als Vorwand zum Betteln, ohne verkaufen zu wollen. Besonders in der Vorweihnachtszeit drängen sie sich auf den Adventmärkten durch die Massen und bitten mit vorgehaltener Zeitung um Spenden. Immer wieder fallen einige dieser „falschen Augustins“ durch aufdringliches Verhalten auf.

Zu Lasten der Reputation?

Das Phänomen sorgte für einige medialer Aufmerksamkeit. Der ORF identifizierte es etwa als Hauptursache für die finanziellen Probleme der Zeitung. Dieser Befund scheint einer genaueren Betrachung jedoch nicht standzuhalten.

Dem „Augustin“ entsteht kein direkter finanzieller Schaden, wenn Unbefugte ein Exemplar veräußern. Denn keines verlässt die Zentrale in Wien-Margareten ohne ein Entgelt von 1,50€, das die registrierten Kolporteur*innen entrichten. Sie verkaufen die Zeitung dann für 3€. Nicht registrierte Verkäufer*innen bekommen die Zeitung entweder weitergereicht oder nehmen Exemplare aus dem Altpapier.

Osariemen Sunday, seit mehr als 20 Jahren „Augustin“-Kolporteur, geht es jedoch um ein anderes Problem: „Diese Fake-Verkäufer machen alles kaputt. Ich glaube, sie schaden der Reputation von ‚Augustin‘.“ Das Fehlverhalten der falschen Verkäufer*innen falle auf die offiziellen zurück.

Foto von Osariemen Sunday, Verkäufer bei Augustin

„Augustin“-Kolporteur Osariemen Sunday: „Ich denke, die Fake-Verkäufer bekommen die Zeitung von den richtigen Verkäufern weitergereicht. Ich weiß, dass die Warteliste für Neue sehr lang ist. Als ich im Jahr 2002 angefangen habe, war es noch ganz leicht, ins Projekt aufgenommen zu werden.“
© Sebastian Deiber

„Augustin“-Mitarbeiterin Claudia Poppe: „Gegen nicht bei uns registrierte Verkäufer*innen können und wollen wir nicht vorgehen. Erstens sind wir nicht die Exekutive, zweitens haben wir nicht die personellen Kapazitäten, und drittens wollen wir Menschen in Armut nicht gegeneinander ausspielen.“
© Sebastian Deiber

Foto von Claudia Poppe, Augustin
Foto von einem Stapel Zeitungen auf einem Tisch
In der Zentrale von „Augustin“ in Wien-Margareten holen registrierte Verkäufer*innen die Zeitung für 1,50€ pro Exemplar ab. Die Zeitung erscheint alle zwei Wochen. © Sebastian Deiber

Probleme wie andere Zeitungen auch

„Wir haben derzeit rund 300 Interessent:innen auf der Warteliste. Die Zahl ist recht konstant, da immer wieder Plätze frei werden“, sagt Claudia Poppe, langjährige Mitarbeiterin bei „Augustin“. Zur Frage der Reputation entgegnet sie: „Die Beschwerden, die wir regelmäßig bekommen, betreffen ganz unterschiedliche Dinge. Wir haben nie erhoben, wie viele Leser:innen sich spezifisch wegen den nicht bei uns registrierten Verkäufer*innen von uns abwenden. Diese Herausforderung begleitet uns schon seit 2010 und es gibt uns immer noch.“„Augustin“ habe keinen Einfluss darauf, was Unbefugte mit der Zeitung machen. „Die meisten Leute reagieren verständnisvoll, wenn ich ihnen das in Ruhe erkläre“, sagt Poppe.

Viel mehr als mit den nicht bei der Zeitung registrierten Verkäufer*innen habe „Augustin“ mit den gängigen Problemen eines Printmediums zu kämpfen: „Die Print-Branche ist in einer generellen Krise. Und ein Leser kann aus vielen Gründen einen Schlussstrich ziehen. Z.B. ‚Ich bin wegen diesem Artikel verärgert und lese daher jetzt die Zeitung nicht mehr‘“.

„Die nicht registrierten Verkäufer*innen betteln auch nicht zum Spaß.“

Claudia Poppe

Eine individuelle Entscheidung

Freilich sei es im Interesse des „Augustin“, mehr Interessent:innen aufzunehmen, sagt Poppe. Man sei zuversichtlich, dass es in Zukunft mehr Standplätze für Verkäufer*innen geben wird, denn: „Wien wächst. Und auch im Umland der Stadt können wir uns ausweiten. Wir sind noch nicht am Zenit.“

So mancher ist unschlüssig, wie man auf nicht registrierte „Augustin“-Kolporteur*innen reagieren soll

Bis dahin werden weiterhin „falsche Augustins“ unterwegs sein. Viele Passant:innen sind unsicher, wie sie sich diesen gegenüber verhalten sollen. Poppe rät nicht davon ab, auch solcherart bettelnden Menschen gelegentlich Geld zu spenden. „Die machen das ja nicht zum Spaß.“ Begegnet man einem Menschen in Armut, gälte es, eine bewusste Entscheidung zu treffen: Spende, ja oder nein? „Das muss jeder mit sich selbst ausmachen“. Betteln sei in Österreich schließlich nicht strafbar. Egal, ob mit oder ohne Zeitung und „Augustin“-Ausweis. Zu Dieb:innen gäbe es aber eine klare Haltung: „Kommt es zu einer Straftat, muss man diese natürlich anzeigen“, sagt Poppe.

INFOBOX: Die Straßenzeitung „Augustin“
Die Straßenzeitung „Augustin“ bezeichnet sich selbst als “die erste österreichische Boulevardzeitung“. Sie wurde 1995 als Beilage der Straßenzeitung „Uhudla“ gegründet, welche 2022 eingestellt wurde. Die Voraussetzungen für den Verkauf der Zeitung sind niederschwellig. Die Menschen, die sich für den Verkauf registrieren lassen, sind auf irgendeine Weise von Armut betroffen (Arbeitslose, Wohnungslose, Asylwerbende etc.), wobei dem rechtlichen Status der Betroffenen keine Relevanz beigemessen wird. Der „Augustin“ erhält keinerlei Subventionen und auch keine Presseförderung.

Website des „Augustin“
https://augustin.or.at/

Titelbild © Augustin