Zwischen Büchern und Konzerten: Das Währinger Urgestein Café Schopenhauer kämpft gegen das Aussterben der Wiener Kaffeehaustradition.
Obwohl es Mittwochmorgen ist, sind fast alle Tische besetzt. Kein seltener Anblick, wenn man das philosophische Kaffeehaus Schopenhauer betritt. Das typisch wienerische Etablissement steht seit 1920 im Namen der heimischen Kaffehauskultur in der Staudgasse – hat aber in den letzten Jahren mehr Tieflagen als Höhenflüge durchlebt. Denn das Schopenhauer ist in 12 Jahren schon durch die Hände fünf verschiedener Besitzer:innen gegangen.
Seit März 2020 schmeißt Fred Göd das Café. “Es war echt eine Punktlandung. Anfang März haben wir aufgesperrt, ein paar Tage später durften wir dann wieder zusperren”, erinnert sich Göd zurück. Durch die Pandemie schlug sich das Schopenhauer gerade so. Zeitweise fungierte es als Teststraße, laut Göd ganz zur Missgunst der Apothekerkammer. Aus der Pandemie-Not heraus kam dann die Idee: “Da war einfach der Überlebenswille da und wir haben beschlossen, uns komplett neu zu erfinden”, erzählt Fred im Gespräch und ab da traf das Café auf die Bücherei.
Tradition trifft Modern
Das Schopenhauer ist für die umliegenden Anrainer und Anrainerinnen mehr als nur ein Ort, an dem Altwiener Kaffee zu leistbaren Preisen getrunken werden kann. Hier treffen junge Student:innen auf alteingesessene Stammkund:innen. Neben einer selbst ausgewählten Sammlung an Büchern haben literarisch begabte Währinger:innen dort auch die Möglichkeit, ihre Werke zu verkaufen. Jedes Wochenende, sagt Göd, gäbe es Veranstaltungen mit jungen Musiker:innen aus der Gegend oder wissenschaftlichen Diskussionsrunden. Ein Klavier lädt zum Musizieren ein.
„Die Kaffeehäuser tun sich schwer mitzuhalten“
“Ich wohne in der Nähe und komme ständig her. Ich genieße die Atmosphäre hier total”, erklärt Lisa. Fast täglich setzt sich die junge Studentin ins Schopenhauer, lernt für Prüfungen, schreibt wissenschaftliche Arbeiten oder bummelt Bücher ihrer Nachbar:innen. Doch woher die Idee, Bücherei mit Wiener Kaffeehauskultur zu verbinden? “Die alten Wiener Kaffeehäuser tun sich ein bisschen schwer mitzuhalten. Das klassische Klientel wird immer älter. Die Zeiten sind auch einfach sehr hart geworden. Dadurch sind viele Cafés in eine Schieflage geraten, darunter auch das Schopenhauer. Ich wollte einen Weg finden, unsere Kaffeehaustradition aufrechtzuerhalten und gleichzeitig für junge Menschen zugänglich zu machen”, sagt Göd. Schnelles Internet, junge Kellner:innen, entspannte Musik und die Möglichkeit, seine Werke und Stücke vor ein Publikum zu bringen.
Ich wollte einen Weg finden, unsere Kaffeehaustradition für junge Menschen zugänglich zu machen
Fred Göd über die Symbiose von Kaffee und Buch
Regional statt großen Marken
Doch an überteuerte, durch Gentrifizierung angelockte Hipsterlokale ist hier nicht zu denken. Nach wie vor trifft sich jeden Dienstag und Donnerstag die pensionierte Stammrunde zum Kartenspielen – und das seit 40 Jahren. Obwohl sie meistens nur Soda Zitron oder Leitungswasser bestellen und stundenlang nichts anderes konsumieren, möchte Göd die Runde nicht missen: “Das rentiert sich zwar nicht. Aber darum geht es mir gar nicht. Sie verbreiten so eine tolle Atmosphäre hier. Inspirieren die anderen Gäste dazu, selber etwas zu spielen. Ich finde, das gehört einfach dazu”, sagt Göd.
Doch nicht nur bei der Auswahl der Bücher oder den auftretenden Musiker:innen achtet der Gastronom auf Regionalität. Mit seiner Küche möchte er regionale Betriebe unterstützen, Bio-Produkte aus der Gegend verwenden und große Konzerne so fern wie möglich halten. So gibt es auf der Karte weder Coca Cola noch Pepsi, dafür aber Makava Eistee und hausgemachte Limonade. Zu den Speisen gibt es Brot von Öfferl, Bio-Eier vom niederösterreichischen Eulenhof und Fleisch- sowie Wurstwaren aus dem Waldviertel.
Café, Bücherei und Schlüsseldienst
“Ich wohne direkt in der Nähe und komme eigentlich, wann immer es möglich ist, hierher. Es ist hier so heimelig. Ich find das super”, erzählt Jakob. Als gebürtiger Währinger ist er mit dem Schopenhauer aufgewachsen und dem Kaffeehaus trotz ständigem Besitzerwechsel nach wie vor treu. Auch, wenn hauptsächlich Anwohner:innen des 18. Bezirks das Schopenhauer besuchen, könnte Fred nicht zufriedener mit seiner Kundschaft sein. “Es gibt kaum ruhige Tage. Wir leben quasi von der Nachbarschaft, die meisten Besucher und Besucherinnen kommen aus der Gegend. Jeder kennt jeden, es ist wie ein kleines Ökosystem”.
Ich wohne in der Nähe und komme ständig her. Ich genieße die Atmosphäre hier total.
Lisa (Studentin) über das Café Schopenhauer
So fungiert das Schopenhauer für so manche Anrainer:innen sogar als Postsammelstelle oder darf als Schlüsseldienst einspringen: “Ich glaube, wir haben vier oder fünf Schlüssel von irgendwelchen WGs und Wohnungen in der Nähe. Immer wieder dürfen wir Pakete entgegennehmen. Teilweise liefern die Nachbar:innen diese direkt hierher”. Das Schopenhauer ist aus dem Leben der Währinger:innen nicht mehr wegzudenken. “Es ist wie im Wilden Westen. Die Poststation, die gleichzeitig der Nahversorger war. Es macht total Spaß”, so Göd. Das ein oder andere zum Verkauf stehende Buch sei sogar im Schopenhauer entstanden. “Wir wollen, dass die Kunden sich ein Buch aussuchen, es vielleicht gemütlich ablesen und dann entspannt entscheiden können, ob sie es kaufen wollen. Manchmal kommen Leute nur um ein Buch komplett durchzulesen, ohne es je zu kaufen. Aber das stört mich nicht“.
Wiener Kaffeehauskultur vor dem Ende?
Dennoch ist auch für das Schopenhauer die aktuelle Lage kein Zuckerschlecken: “Es ist zur Zeit ganz schwer, wirtschaftlich zu überleben”, erzählt Göd. So haben im vergangenen Jahr allein im 18. Bezirk neun Lokale zusperren müssen – nur eines sei dazugekommen. “Die Energiekosten und die Miete sind explodiert, gleichzeitig haben die Menschen immer weniger Geld, dass sie ausgeben wollen”, sagt Göd weiter. Es sei kaum mehr möglich, alle Kosten zu decken und das, obwohl das Schopenhauer fast täglich rappelvoll ist.
Dennoch möchte Göd sein Konzept nicht aufgeben, seine Stammspielerrunde nicht rausschmeißen und weiterhin Abends junge Musiker:innen aus der Nähe auftreten lassen. “Es macht einfach Spaß, das Schopenhauer zu schmeißen und ich bin dankbar, dass mein Konzept so gut aufgenommen wurde.” In seiner Jugend lernte er das Schopenhauer lieben und möchte das Traditionscafé sowie sein Konzept keinesfalls aufgeben. “Ich fürchte, dass die Wiener Kaffeehauskultur am Aussterben ist”, sagt Fred.