Verkehrsberuhigung in Wien – eine österreichische Lösung


von Michael Suntinger

Weltweit haben viele Großstädte Autos bereits weitgehend verbannt. Die Maßnahme soll zu mehr Lebensqualität führen und das Klima schützen. Die Stadt Wien plant nun ebenfalls eine Verkehrsberuhigung in der Innenstadt. Ein Konzept liegt vor. Kritik dazu kommt allerdings von Datenschützer: innen.

„Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Dieses Zitat wird Wilhelm II. zugeschrieben. Auch aktuell ist die Rolle von PKWs gerade im urbanen Raum umstritten. Die Stadt Wien plant nun ebenfalls eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt. Mitte Oktober präsentierten der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt Markus Figl (ÖVP) und die Stadträtin für Stadtplanung und Mobilität Ulli Sima (SPÖ) eine Machbarkeitsstudie für das Projekt. Kritik kommt allerdings von der Grundrechts-NGO epicenter.works. Videoüberwachung als Kontrollmethode für die Einhaltung stelle einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte dar, bemängeln die Datenschützer:innen. Eine ähnliche Methode kommt in Italien zum Einsatz, doch einige Beispiele aus anderen Städten zeigen, dass Verkehrsberuhigung auch sanfter funktionieren kann und sogar für Wien liegt ein weniger invasives Konzept vor.

Einfahrt in die Innenstadt über die Kärtnerstraße
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Die Kärntnerstraße wird eine von 26 Zufahrtsmöglichkeiten in die Innenstadt bleiben.

Kamera-basiertes System nach italienischem Vorbild

Das Konzept sieht vor, dass künftig nur noch Anrainer:innen, Nutzer:innen öffentlicher Garagen, Wirtschaftstreibende sowie Einsatzfahrzeuge und Taxis frei einfahren dürfen. Alle anderen sollen sich für maximal 30 Minuten mit dem Auto in der Innenstadt aufhalten dürfen. Das soll rund 30 Prozent weniger Einfahrten und 23 Prozent weniger abgestellte PKWs bringen. In absoluten Zahlen wären das täglich 15.700 Einfahrten weniger. Auf den freiwerdenden Parkflächen sollen Rad- und Fußwege, Grünflächen oder Aufenthaltsangebote entstehen. Bevor das Projekt ausgeschrieben werden kann, muss noch die gesetzliche Grundlage dazu in der Straßenverkehrsordnung geschaffen werden. Geplant ist, dass die derzeit 34 Zufahrtsmöglichkeiten in die Innenstadt auf 26 reduziert werden. An diesen sollen dann Kameras registrieren, wer wann ein- und ausfährt. Das geschieht, indem Kennzeichen automatisch fotografiert und mit einer Datenbank abgeglichen werden, in der die berechtigten Personen hinterlegt sind. Fährt man innerhalb von 30 Minuten wieder aus, soll das Bildmaterial automatisch gelöscht werden, anderenfalls muss man eine Strafe zahlen. Das Modell ist nicht neu. Als Vorbild dafür fungiert die italienische „Zona Traffico Limitato“. Obwohl ein positives Datenschutzgutachten vorliegt, stößt die Methode auf Kritik.

„Daten-Berge wecken leider immer Begehrlichkeiten.“

Petra Schmidt – epicenter.works

Man schaffe durch die Installation von Kameras die Infrastruktur zur Videoüberwachung der Innenstadt, erklärt Petra Schmidt von der Wiener Datenschutz-NGO epicenter.works. „Daten-Berge wecken leider immer Begehrlichkeiten. Das heißt, sobald Daten technisch vorhanden und verfügbar sind, ist es nur noch ein kurzer Weg, dass diese auch ausgewertet werden.“ Obwohl das Datenschutzgutachten die ausschließlich zweckmäßige Verwendung der Kameras als Voraussetzung für die Durchführbarkeit des Vorhabens vorschreibt, könnten die Kameras zu Überwachungszwecken genutzt werden. „Bereits seit 2018 existiert mit § 53 Abs. 5 SPG eine Rechtsgrundlage für das Auslesen solcher Videokameras in Echtzeit. Das bedeutet, dass die Polizei auf jeden Fall Zugriff auf die Echtzeit-Bilder hat, unabhängig davon, ob diese verpixelt oder anschließend gelöscht werden. Dieser Zugriff ist sogar ganz ohne richterlichen Beschluss möglich.“, erklärt Schmidt.

Diese Bedenken kann Verkehrsstadträtin Sima nicht nachvollziehen. Im Mai des vergangenen Jahres bezeichnete sie datenschutzrechtliche Bedenken gegenüber dem Konzept als „absurd“. „All denen, die dagegen mobil machen, muss klar sein, dass sie ein riesiges Verkehrsprojekt zunichtemachen“, so Sima weiter. Ihre Aussage mag den Anschein erwecken, als würde eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt mit der Verwendung von Kameras stehen und fallen, doch die geplante Methode ist nicht alternativlos.

Innenstadt-Ausfahrt Rotenturmstraße
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Auch an der Ausfahrt Rotenturmstraße sollen künftig Kameras den Verkehr überwachen.

Ein weniger invasives Konzept für Wien ist vorhanden.

Im Vorfeld des Wien-Wahlkampfs 2020 präsentierte die damalige Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) ein ähnlich gestaltetes Konzept. Kontrolliert werden sollte damals aber nicht mit Kameras, sondern in Form von wöchentlichen Planquadraten. Bürgermeister Ludwig erteilte dem Entwurf eine Absage. Seine damaligen Argumente machen aus heutiger Sicht stutzig. Neben dem Einwand, dass für Eingriffe in den Verkehr Gefahrensituationen vorliegen müssten, gibt er datenschutzrechtliche Bedenken an. Es brauche Nachweise, dass man in die Innenstadt fahren darf. Da diese Nachweise personenbezogene Daten beinhalten, wäre die Regelung nicht angemessen. Hebein legte damals ein Gegengutachten vor, welches ihr Konzept als rechtskonform bewertete.

Über die Gründe für die Kursänderung der rot-pinken Stadtregierung bei der Verkehrsberuhigung ließe sich letztlich nur spekulieren. Fest steht aber, dass Kameras nicht alternativlos sind. Das zeigt auch ein Blick auf die Modelle anderer Großstädte.

Von Curitiba über Barcelona bis Singapur – autofrei geht auch anders

Weltweit haben Großstädte teils schon vor langer Zeit erkannt, dass sich Autos in dicht besiedelten Stadtgebieten nicht optimal für den Personenverkehr eignen. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Curitiba in Brasilien. Obwohl sich die Einwohnerzahl dort seit den 70er-Jahren auf heute 3,6 Millionen Menschen verzehnfachte, hat sich der Autoverkehr in derselben Zeit um ein Drittel verringert. Das wurde durch innovative Stadtplanung erreicht. Entlang einiger Hauptverkehrsadern von Curitiba fahren Busse im Minutentakt. Für sie wurden eigene Spuren eingerichtet. Der komplette Nahverkehr ist barrierefrei. Tickets müssen vorab erworben werden, sodass ein durchschnittlicher Halt zwischen 15 und 19 Sekunden dauert. Das Angebot ist so niederschwellig, dass es 80 Prozent der Bevölkerung nutzen. Es wird geschätzt, dass so circa 27 Millionen Fahrten pro Jahr eingespart werden. Der Spritverbrauch in Curitiba ist um ein Drittel niedriger als in anderen brasilianischen Großstädten.

Auch Paris setzt zur Verkehrsberuhigung auf Maßnahmen in der Stadtplanung.

Einen anderen Weg hat Barcelona gewählt. Das Zentrum der katalanischen Hauptstadt wurde nach einem Schachbrettmuster in sogenannte „Super-Blocks“ unterteilt. In diese Zonen dürfen nur Anrainer:innen und Lieferant:innen einfahren. Für sie gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 10 km/h. Der restliche Verkehr wird umgeleitet. Innerhalb der Super-Blocks begrünte die Stadt jeweils eine Spur der Straßen, den die andere Spur reicht für den übrigen Verkehr aus. In den nächsten Jahren sollen mehr als 500 solcher Blöcke in Barcelona entstehen.

Eine radikalere Herangehensweise wählte Singapur. Dort kann ein neues Auto nur dann zugelassen werden, wenn ein altes von der Straße verschwindet. Zudem werden PKW-Zulassungen nur auf zehn Jahre begrenzt vergeben. Sie kosten umgerechnet bis zu 30.000 Euro.

Die Möglichkeiten zur Verkehrsberuhigung eines Stadtzentrums sind also vielfältig. Welchen Weg Wien gehen wird, wird sich zeigen. Die Stadt will in diesem Jahr weitere Schritte präsentieren.