Inmitten von Kürzungen und einschlägigen Krisen schaufeln sich junge Startups ihren Platz in der österreichischen Medienlandschaft frei. Ausgerechnet im ausgehungerten Kultursektor feiert das junge Online-Magazin Bohema dieses Jahr seinen dritten Geburtstag. Von den einen gefeiert, von den anderen belächelt und durch traditionelle Fördermodelle benachteiligt.
Die österreichische Medienbranche steckt in einer Krise, besonders der Kultur-Sektor bekommt das aktuell zu spüren. Während der Gürtel bei etablierten Medien seit Jahren enger geschnallt wird, entwickeln sich gleichzeitig aber auch viele neue Möglichkeiten zur Produktion und Verbreitung von Content – Stichwort Social Media. Genau hier haken Medien-Startups, wie Bohema ein.

„Warum machen wir nicht unser eigenes Ding?“
Österreichischer Kulturjournalismus „ist ein Mix aus traditionellen Formaten und Medien, die sich wie Dinosaurier gehalten haben, obwohl sie nicht mehr zeitgemäß sind“, schmunzelt Dávid Gajdos, Co-Chefredakteur und Mitgründer von Bohema. Daneben gibt es aber auch innovative Medien, die versuchen Neues auszuprobieren – in diesem Sinne entstand 2021 das Online-Kulturmagazin Bohema.

Damals schrieb Gajdos für die Presse. Stil, Umfang und Thema der Beiträge, legten seine Chefs fest. Die zündende Idee kam eigentlich von seiner Freundin Alexandra Timofeeva, Bohemas Webmaster und zweite Co-Chefredakteurin: „Warum machen wir nicht unser eigenes Ding, wo wir das machen, was uns interessiert?“
ad infinitum – die Generationsfrage
Bohema bietet Beiträge über Musik und Film, Literatur bis hin zu Theater – produziert von und für ein junges Publikum. Das Kernteam besteht aus 27 Redakteur:innen, die regelmäßig Content produzieren. Mit 127 Mitgliedern, ist das gesamte Projekt aber deutlich größer.
Das Ergebnis ist „persönlicher, sprachlich auch mal lockererer, aber lässt trotzdem das Fachwissen nicht vermissen“, beschreibt Ö1 Musikredakteurin Eva Teimel. 2020 wurde sie auf Bohema aufmerksam und steht dem Projekt seitdem positiv, aber durchaus kritisch gegenüber. Durch den ‚jungen Blick‘ des Redaktionsteams eröffnen sich für sie neue Perspektiven. Man erreicht ein Publikum, das von größeren Medienhäusern nicht abgedeckt werden kann. Gleichzeitig birgt das auf lange Sicht aber auch eine Problemquelle.
Junge Startups können sich nicht ewig auf ihre Zielgruppenzugehörigkeit verlassen. Hinter Bohema steht „ein Team, das sehr jung ist, engagiert, idealistisch“, erklärt die Journalistin. „Das war FM4 früher auch mal. Jetzt kämpft man dort mit der Generationsfrage.“ Wichtig ist, sich früh genug zu überlegen, wohin der Weg gehen soll. Bleibt man ‚jung‘ oder nimmt man die Leserschaft mit und entwickelt sich weiter?
„Idealistisch angehaucht“
Medien-Startups sprechen nicht nur neue Marktsegment an, sondern bieten eine fast grenzenlose Spielwiese, um sich auszuprobieren. Viele, die für Bohema schreiben, haben keinerlei journalistische Vorerfahrung – hier soll jede:r die Möglichkeit bekommen. Wer einen Themenvorschlag hat, kann ihn bei den Ressortleiter:innen zur Freigabe einbringen. Der fertige Text wird durch die Leiter:innen korrigiert, etwaiges Feedback eingearbeitet und dann im Publikationsplan gereiht.
„Wir müssen noch mutiger sein und mehr ausprobieren, weil wir es noch können.“
David Gajdos, Bohema Co-Chefredakteur
Etablierte Medieninstitutionen müssen in fixen Strukturen agieren, um ihren Verantwortungen nachkommen zu können. Sowohl Konsument:innen, als auch Angestellten gegenüber. Denn schlussendlich ist das Ziel eines Unternehmens, wirtschaftlich zu arbeiten. Als Startup sei man aber „idealistisch angehaucht“, sagt Gajdos. „Wir treiben die Großen ein bisschen vor uns her und müssen noch mutiger sein und mehr ausprobieren, weil wir es noch können“ – wertegeleitet statt gewinnorientiert.
Gerade auch was neue Formate anbelangt, trifft man bei Bohema daher auf offene Ohren. „Das ist etwas unglaublich Schönes, denn du musst dich kreativ auslassen können, um in diesem, um in jedem Feld weiterzukommen“, unterstreicht Teimel. Dennoch könne sie die Beiträge oft nicht ganz ernst nehmen: „Diese ungezügelte Leidenschaft ist toll, aber wenn im ersten Absatz drei Fehler sind, tut das weh.“ Es wird immer einfacher sich online professionell zu präsentieren. Wenn der Content diesem Standard dann aber nicht entspricht, schadet das dem Image umso mehr.
No Money Mo‘ Problems
Laut Medienforscher Andy Kaltenbrunner, konzentrieren sich jetzige öffentliche Fördermodelle und Marktregulierungen auf öffentlichen Rundfunk und traditionelle Medien. Journalistische Startups würden so beim Markteintritt behindert, statt unterstützt, erklärt er in einem Interview mit tag eins.
Wie viele Startups basiert Bohema noch komplett auf freiwilliger Arbeit. Bezahlt werden die Mitarbeiter:innen nicht. „Gerade im Journalismus, machen wir natürlich nicht immer alles nur für Geld“, merkt Teimel an, „aber man muss schon eine Grenze ziehen.“ Früher hätte die Musikredakteurin alles getan, um einen Text veröffentlichen ‚zu dürfen‘, heute rät sie zur Vorsicht. Der Grat zwischen Idealismus und Ausbeutung ist schmal, „irgendwann muss man sich fragen, was bringt mir das ehrlicherweise?“
Co-Chefredakteur Gajdos ist sich der Problematik bewusst. Ein langfristiges Einnahme-System steht aber nicht in Aussicht. Man arbeite daran, die Kluft mit Fördermitteln zu überbrücken. Der Prozess sei allerdings zeitintensiv, die Antragstellung komplex und konkrete Förderpakete für journalistische Medien-Startups begrenzt.
Die Wiener Medieninitiative der Wirtschaftsagentur Wien ist mit zwei Förderprogrammen das einzige solche Paket im Land. Ziel ist, das hohe Risiko neuer Medien-Projekte durch frühphasige Unterstützung abzufedern und „Förderungen dementsprechend möglichst niederschwellig anzusetzen“, erklärt Förderexpertin Carina Trafoier. Für den Antrag zum Programm Medienstart, genügt beispielsweise eine einfache Projektdarstellung. Auch die Wahrscheinlichkeit eines positiven Förderentscheids ist hier enorm hoch, wie Trafoier beschreibt: zwischen 70 und 80%! Seit Projektstart 2019 wurden gesamt 8,1 Mio.€ an Fördermitteln ausgezahlt – Tendenz steigend.
Und weiter?
Sind Startups also die Zukunft unserer Medienlandschaft? „Realistischerweise, wird es in die Richtung gehen, weil wir uns nicht ewig halten können in den großen Medienhäusern“, meint Ö1-Redakteurin Teimel. „Das ist eine Entwicklung, in der wir bereits mittendrin sind. Diese Monopole werden durch kleinere Medienprojekte aufgebrochen.“ Startups kennen die Landschaft anders und bedienen sie dementsprechend auch anders. Hier kann Goliat noch von Dávid lernen. Einem professionellen Auftritt, muss aber auch qualitativ hochwertiger Content folgen. In diesem Punkt scheint zumindest Bohema dringenden Aufholbedarf zu haben.
„Ich erkenne eine Mischung aus Respekt, Freude und auch etwas Belustigung darüber, dass hier junge Leute tatsächlich etwas Neues probieren“, schildert Gajdos seine Eindrücke. Was Bohema betrifft, sieht er sich und sein Team als „Anwälte ihrer Generation“. Zukünftig sollen nicht nur professionellere Organisationsstrukturen im Redaktionsteam etabliert, sondern auch Lobbyarbeit für die jüngere Generation im Kulturgeschehen betrieben werden. Ihre Erste Aktion haben sie bereits durchgesetzt – verbilligte Jugendtickets im Musikverein.
Weiterführende Links:
https://bohema-wien.com
http://medieninitiative.wien
http://musiverein.at/jugend-club-20
Beitragsbild: KI generiert mit NightCafé