Sexualisierende Kommentare, übergriffige Zurufe, Hinterherpfeifen auf offener Straße gehören auch in Wien für Viele zum Alltag. Die Initiative „Catcalls of Vienna“ hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl an öffentlichen Orten, als auch in sozialen Medien auf das Thema (verbaler) sexueller Belästigung – sogenanntes Catcalling – aufmerksam zu machen und die Erfahrungen der Betroffenen zu dokumentieren.

Wer öfter in den Straßen Wiens unterwegs ist, ist vielleicht schon über einen belästigenden Spruch gestolpert, der mit Kreide auf den Boden geschrieben wurde. Hinter den Kreidesprüchen stecken die Aktivist:innen von „Catcalls of Vienna“. Sie wollen damit auf (verbale) sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam machen. Emilia C. Rossmann ist Teil des Wiener Vereins und engagiert sich gemeinsam mit anderen Freiwilligen gegen sogenanntes „Catcalling“ und „Street Harrassment“. Sie erklärt, was unter Street Harassment zu verstehen ist: „Belästigungen jeglicher Art im öffentlichen Raum, wie sexuelle, rassistische oder queerfeindliche Belästigungen und Angriffe“.
Die Idee für das Projekt stammt von der New Yorkerin Sophie Sandberg mit „Catcalls of New York“ und der queer-feministischen „Chalk-Back-Bewegung“. Nachdem der New Yorker Verein 2016 gegründet wurde, übernahmen mittlerweile zahlreiche Aktivist:innen die Idee in 150 weiteren Städten. „Catcalls of Vienna“ wurde 2019 in Wien gegründet.
Wie funktioniert´s?
Betroffene von verbaler sexueller Belästigung haben die Möglichkeit, sich über die Instagram-Plattform @catcallsof.vie zu melden. Die Äußerungen, die meistens Frauen oder als Frauen gelesenen Personen nachgerufen werden, werden gesammelt und anschließend am Ort des Geschehens mit Kreide auf den Boden geschrieben.
Es gehe vor allem darum, für Öffentlichkeit und Sichtbarkeit zu sorgen, erklärt Emilia: „Dadurch, dass wir die Sprüche im öffentlichen Raum platzieren, wissen wir nicht, wer sie sieht und wer nicht. Durch das Kreiden können wir das ekelhafte Gefühl vom belästigt werden, festhalten. Es bleibt am Boden, so lange die Kreide dort ist. Menschen, die normalerweise nicht von Catcalling betroffen sind, können die Intensität der Worte nachempfinden. Wir hoffen, dass dadurch Gespräche und Diskussionen entstehen.“
Drei von vier Frauen in Österreich betroffen
Die betroffenen Personen, die sich an Emilia und ihre Kolleg:innen von „Catcalls of Vienna“ wenden, sind keine Einzelfälle. Das Ausmaß der Catcalling – Problematik hat etwa eine Studie des Instituts für Familienforschung bereits 2011 festgestellt: Rund drei von vier Frauen in Österreich erlebten Ähnliches. So äußerten drei Viertel der befragten Frauen, im Laufe ihres Erwachsenenlebens sexuell belästigt worden zu sein. Fast die Hälfte gab an, dass sie „auf eine Art und Weise angesprochen wurden”, die sie als sexuell belästigend empfanden. 42,9 Prozent der Befragten berichteten davon, dass „ihnen nachgepfiffen wurde oder sie angestarrt wurden“, wodurch sie sich sexuell belästigt fühlten. Ein Viertel der befragten Männer wurde ebenfalls schon sexuell belästigt, der Unterschied: nur 2,7 Prozent davon auf offener Straße von fremden Personen.
Seit der Studie des Institutes für Familienforschung aus dem Jahr 2011 gab es in Österreich keine vergleichbaren Erhebungen mehr. Das wurde ebenfalls von der zuständigen Abteilung des Bundeskanzleramtes bestätigt, denen keine konkreten Zahlen zu Catcalling oder sexueller Belästigung im öffentlichen Raum in Österreich vorliegen.
Wie der Alltag einer weiblich gelesenen Person beispielsweise bei einem Spaziergang durch New York aussehen kann, zeigt das Video „10 Hours of Walking in NYC as a Woman“ aus 2014, das von Rob Bliss für die Organisation Hollaback! erstellt wurde. Das zweiminütige Video fasst Szenen aus zehn Stunden zusammen und dokumentiert die vorgefallenen „Catcalls“.
Warum Catcalling kein Kompliment ist
Die Kreide-Aktionen fallen auf, die Aktivist:innen erhalten ganz unterschiedliche Reaktionen, berichtet Emilia von „Catcalls of Vienna“:
„Manche sind sehr nett, vor allem wenn sie unsere Arbeit schon kennen. Natürlich kommen auch Menschen auf uns zu und beschweren sich, zum Beispiel über die dreckigen Worte, die wir auf den Boden schreiben. Wir versuchen jedem zu erklären warum wir das machen, aber nicht alle wollen versuchen es zu verstehen.“
Catcalling kann weitreichende und langfristige Konsequenzen haben, auch wenn es bei verbalen Übergriffen bleibt. Studien zeigen, (verbale) sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum zu erleben, bedeutet für die Betroffenen eine emotionale und psychische Belastung, ein Gefühl der Unsicherheit und die Schwächung des Selbstwertgefühls. Sogar körperliche Symptome wie Muskelverspannungen, Atembeschwerden, Schwindel und Übelkeit können Folgen von Catcalling sein. Verbale Übergriffe beschneiden Selbstbestimmung und Freiheit, denn Betroffene vermeiden bestimmte Routen, verlassen das Haus nicht oder verzichten auf öffentliche Transportmittel.
Kriminologin Laura-Romina Goede ist Mitautorin einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und berichtete dem Spiegel über die Folgen von Catcalling. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an nach Catcalling-Erfahrungen ängstlicher geworden zu sein. 40 Prozent würden bestimmte Orte und Plätze meiden und 8 Prozent haben ihren Kleidungsstil geändert.
Keine Folgen für die Täter:innen
Trotz des Ausmaßes und der Auswirkungen von Catcalling, sind anzügliche Gesten, Pfiffe oder sexualisierende Kommentare in Österreich nicht strafbar. Aktuell sind nur Beleidigungen sowie sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz im österreichischen Strafgesetzbuch verankert. In Frankreich sind verbale sexuelle Belästigungen seit 2018 strafbar und können mit einem Bußgeld von bis zu 750 Euro geahndet werden. Ähnliche Gesetze existieren auch in den Niederlanden, Belgien, Portugal, Peru und den Philippinen.
Eine Petition mit dem Titel „Catcalling strafbar machen“ wurde 2022 von Catcalls of Graz gestartet. Die Untertützer:innen fordern eine gesetzliche Verankerung, ähnlich derer in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Spanien, bisher blieben die Bemühungen allerdings ohne Erfolg.
Weiterführende Links:
Studie zur sexuellen Belästigung in Österreich
Studie über die Notwendigkeit von Maßnahmen bei Belästigung auf der Straße am Beispiel Iowa