Letzte Generation: Stören gegen das Zerstören

Zwei Aktivistinnen stehen neben einem Gemälde, auf dem sich ein großer, schwarzer Fleck befindet; einer der Aktivisten wird von einem Mann festgehalten

Die Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation machen in letzter Zeit vermehrt mit Angriffen auf Kunstwerke und Straßenblockaden in ganz Österreich auf sich aufmerksam. Damit sorgen sie nicht nur für Schlagzeilen, sondern auch für Verärgerung in der Bevölkerung und bei den Vertreter:innen der Museen. Aus Sicht der Protestforschung sind ihre Mittel jedoch berechtigt.

Bei Minusgraden und nasser Fahrbahn blockierten Mitglieder der Letzten Generation am Montagmorgen erneut zwei Hauptverkehrsadern in Graz und Innsbruck. Mitten im Frühverkehr setzten sich insgesamt acht Aktivist:innen auf die Straße und versperrten so den Autofahrer:innen den Weg zur Arbeit. Es sind die jüngsten Aktionen, mit denen die Letzte Generation öffentlich in Erscheinung tritt.

Aufmerksamkeit um jeden Preis

Bereits seit Monaten fällt die Bewegung mit ihren Protesten auf und beeinträchtigt bewusst den Alltag vieler Menschen. Das gehöre zum Kern ihrer Strategie, erklärt Florian Wagner, Aktivist und Pressesprecher der Letzten Generation Österreich: „Der zivile Ungehorsam lebt davon, zu stören. Das ist das Grundprinzip davon: sich dem normalen Alltag in den Weg zu stellen.“

Drei Menschen sitzen auf der Straße und halten den Verkehr auf
Die Letzte Generation sorgt regelmäßig mit Straßenblockaden für Aufsehen – aber auch für Verärgerung.
(© Letzte Generation Österreich)

Die Mitglieder der Letzten Generation treten radikaler auf, als es bei den bisherigen Klimabewegungen der Fall war – und lösen deshalb ein großes mediales und öffentliches Interesse aus. Mit ihren Aktionen stoßen sie jedoch auch auf viel Unverständnis und Ablehnung in der Bevölkerung. Trotzdem sehe man keine andere Wahl, denn frühere Proteste, etwa vor dem Bundeskanzleramt oder der OMV-Zentrale, hätten nichts gebracht. Die Politik nehme die Klimakrise weiterhin nicht ernst genug, beklagt Wagner. „Und deswegen versuchen wir jetzt, diese Dringlichkeit zu kommunizieren, indem wir radikalere Protestformen wählen. Man bekommt die Aufmerksamkeit für das Thema nur, wenn man stört.“  

„Täglich Brot in der Demokratie“

Protestforscher Oliver Marchart von der Universität Wien kann die große Aufregung und den Ärger rund um die Klimaaktivist:innen nur wenig nachvollziehen, wie er in einer STANDARD-Videodebatte betont. Für ihn seien die Aktionen der Letzten Generation nichts Besonderes: „Frühere Protestformen haben immer schon dieselben Mittel benutzt. Beispielsweise die Straßen zu blockieren. In dieser Diskussion der Blockade treffen Vorwürfe von beiden Seiten aufeinander: Hier wird die Straße blockiert, dort blockiert die Politik die notwendigen Maßnahmen für den Klimaschutz.“

„Die Proteste der Letzten Generation sind eigentlich nichts Besonderes.“

Oliver Marchart, Politikwissenschafter an der Universität Wien

Die Aktionen der Letzten Generation gehören laut Marchart zum selbstverständlichen Protestvokabular, weil die Blockade des öffentlichen Verkehrs Aufmerksamkeit errege und das Funktionieren der Gesellschaft für einen Moment stillstehe. Nach demselben Prinzip würden etwa auch Streiks funktionieren: „Wenn wir etwas gegen die Straßenblockaden haben, müssten wir eigentlich auch das Streikrecht infrage stellen. Das heißt, wenn wir wollen, dass alles immer so weitergeht, wie es normalerweise läuft, dann müssten wir das alles verbieten“, erklärt Marchart. Die politische, öffentliche Meinungsäußerung, die gegebenenfalls stört, sei immerhin das „täglich Brot in der Demokratie“.

Von der Straße ins Museum

Trotzdem erntet gerade die Letzte Generation für ihre Aktionen regelmäßig scharfe Kritik. Besonders seit dem Tod einer Radfahrerin in Berlin, für den zunächst die Klimaaktivist:innen verantwortlich gemacht wurden, ist die Stimmung aufgeheizt. Deshalb habe man sich nach diesem Vorfall dafür entschieden, die Straßenblockaden in Wien zumindest bis Anfang 2023 auszusetzen. Die Proteste haben sich nun verlagert – von den Straßen in die Museen.

Bereits Mitte September haben Mitglieder der Letzten Generation versucht, sich mit Superkleber an das Dinosaurierskelett im Naturhistorischen Museum (NHM) zu befestigen. Die Aktion wurde allerdings von der Zivilpolizei vereitelt. Anfang November ist es zwei Aktivistinnen schließlich gelungen, sich mit ihren Händen an den Sockel des Fossils festzukleben.

Zwei Frauen kleben mit den Händen an dem Sockel eines Dinosaurierskeletts
Das Dinosaurierskelett wurde an diesem Tag im NHM zur Nebenattraktion. (© Letzte Generation Österreich)

Noch mehr Aufmerksamkeit und Medieninteresse – sogar von der New York Times – hat die Protestaktion Mitte November im Wiener Leopold Museum erregt. Mit einer ölartigen Flüssigkeit, welche auf das Gemälde Tod und Leben von Gustav Klimt geschüttet wurde, wollten zwei Aktivisten die Kooperation des Museums mit der OMV anprangern und die Menschen schockieren – sie sprechen von einer „gewollten Inszenierung“. Das sehen die Vertreter:innen der Museen naturgemäß anders: Für sie seien die Aktionen eine mutwillige Zerstörung und ein Anschlag auf die Ausstellungsstücke. „Dass man Kunstwerke gefährdet, können wir einfach nicht gutheißen. Das ist ein überzogener Zugang“, kritisiert Klaus Pokorny, Pressesprecher des Leopold Museums, die Vorgangsweise der Aktivist:innen.

Verständnis für das Anliegen, nicht aber für die Methode

Allgemein sehen sich die Museen als das falsche Ziel. In den vergangenen Jahren habe man bereits viele energie- und emissionssparende Maßnahmen ergriffen, etwa werden Dienstreisen von Kurator:innen mit dem Flugzeug auf das Nötigste beschränkt. Ebenso bemühe man sich, der Klimakrise und ihren Folgen in den Ausstellungen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, berichtet Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM. Auch deshalb lehnt sie die Protestformen der Letzten Generation ab: „Damit wird nämlich alles, was wir und andere Institutionen für den Klimaschutz tun, in eine komische Ecke gedrängt von Aktivist:innen, die ein Bild mit Kartoffelbrei bespritzen. Ich bin der Meinung, das schadet der Debatte eher.“

Florian Wagner schüttete schwarze Farbe auf ein Gemälde von Gustav Klimt und erregte mit dieser Aktion viel Aufmerksamkeit – sogar in den USA.

Die Aktivist:innen bringen die Museen in ein Dilemma: Statt sich damit zu beschäftigen, wie man die Folgen des Klimawandels den Besucher:innen vermitteln kann, müssten sie sich derzeit damit auseinandersetzen, wie sie ihre Ausstellungsstücke vor den Mitgliedern der Letzten Generation schützen, beklagt Vohland. So müssen etwa alle Besucher:innen des Leopold Museums ihre Taschen am Eingang abgeben, zudem werde das Personal speziell geschult. Die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen sei langfristig jedoch keine Lösung, meint NHM-Direktorin Vohland: „Wir wollen das Haus eigentlich weiter öffnen und nicht weiter verriegeln.“

Auch Debatte wird radikaler

Dass es zu einer Radikalisierung der Gruppe komme oder durch die Aktionen gewaltbereite Trittbrettfahrer:innen angezogen werden, welche den Kunstwerken echten Schaden zufügen, bereite ihnen derzeit die größten Sorgen, sind sich Vohland und Pokorny einig. Auch Expert:innen in Deutschland, wie etwa der Extremismusforscher Alexander Straßner von der Universität Regensburg, warnen vor einer gefährlichen Entwicklung: „Die Aktivist:innen behaupten von sich selbst, für eine ganze Generation zu sprechen. So diskriminieren sie systematisch andere Meinungen und das ist auch ein Kennzeichen einer Radikalisierung.“

Aus Angst vor weiteren Aktionen hat die Polizei in Bayern Ende November sogar 19 Aktivist:innen in Präventivhaft genommen – eine Maßnahme, die normalerweise bei Terrorverdacht zum Einsatz kommt. Auch verbal verschärft sich die Gangart gegen die Letzte Generation zunehmend: Konservative Politiker:innen bezeichnen die Aktivist:innen mittlerweile als „Klima-Kriminelle“ und „Terrorist:innen“, CSU-Landesgruppenführer Alexander Dobrindt spricht sogar von einer „Klima-RAF“. Solche Bezeichnungen sieht Protestforscher Marchart jedoch als verfehlt an, insbesondere vonseiten der Politik: „Ich halte relativ wenig davon, die Proteste zu kriminalisieren. Es bringt vielleicht etwas in der Mobilisierung der eigenen Kernwählerschaft, aber demokratiepolitisch finde ich es nicht produktiv.“

„Wir versuchen, die Dringlichkeit der Klimakrise zu kommunizieren, indem wir radikalere Protestformen wählen. Man bekommt die Aufmerksamkeit für das Thema nur, wenn man stört.“ 

Florian Wagner, Letzte Generation Österreich

Die Letzte Generation selbst distanziert sich von Gewalt, schließt allerdings Sachbeschädigungen an fossiler Infrastruktur – wie Tankstellen, Pipelines oder Raffinerien – in Zukunft nicht aus. In erster Linie wollen die Aktivist:innen jedoch weiterhin auf friedlichen Widerstand setzen, meint Wagner: „Wir wollen weiter wachsen und so viele Leute in den zivilen Ungehorsam bringen, dass das Thema einfach nicht mehr ignoriert werden kann.“

Was ist die Letzte Generation?

Die Letzte Generation sieht sich selbst als die „erste Generation, die die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommt, und gleichzeitig die letzte, die eine Katastrophe noch abwenden kann“. Die Aktivist:innen fordern ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen sowie einen Stopp neuer Bohrungen nach Öl und Gas.

Ihr Vorbild ist die britische Gruppe Just Stop Oil, seit Februar 2022 gibt es die Bewegung auch in Österreich. Sie tritt regelmäßig mit Aktionen in Wien in Erscheinung, ist daneben aber vor allem in Graz, Linz und Innsbruck aktiv. Aktuell besitzt die Letzte Generation rund 160 Mitglieder in ganz Österreich, darunter meist Student:innen sowie Akademiker:innen unterschiedlichen Alters.

Umstritten ist die Bewegung auch deshalb, da sie sich neben Spenden von Privatpersonen vor allem durch Gelder aus dem Climate Emergency Fund (CEF) finanziert. Der CEF ist eine Stiftung aus den USA, welche unter anderem von Öl-Erbin Aileen Getty unterstützt wird.

Beitragsbild: © Letzte Generation Österreich