Die aktuellen Preiserhöhungen treffen vor allem einkommensschwache Menschen und Familien, und somit überdurchschnittlich mehr Kinder. In Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, sind 368.000 Kinder und Jugendliche armuts- und ausgrenzungsgefährdet: das bedeutet jedes 5. Kind. Expert*innen sehen eine beunruhigende Entwicklung.
Erst am vergangenen Montag richteten Kinderrechtsorganisationen erneut einen dringenden Appell an die Bundesregierung. In diesem kritisieren unter anderen die Arbeiterkammer Wien, die Caritas Österreich, SOS Kinderdorf und die Volkshilfe Österreich Säumnisse der Regierung im Bereich der Bekämpfung von Kinderarmut. Sie fordern eine Kindergrundsicherung und rasches Handeln, denn Kinder leiden an den momentanen multiplen Krisen besonders. Dass die Lage dramatisch ist, zeigt sich bei der Volkshilfe, die in diesem Jahr so viele Unterstützungsanfragen erreicht wie noch nie zuvor.
„Das Aufwachsen in Armut prägt alle Lebensbereiche und das ganze Leben.“
Hanna Lichtenberger, Kinderarmut- und Sozialpolitikexpertin der Volkshilfe Österreich
Armut beeinflusst den gesamten Lebensbereich und den Lebenslauf, von gesundheitlichen Nachteilen, über andauernden Stress und fehlenden sozialem Halt bis hin zur durchschnittlichen Lebenserwartung, die schon innerhalb Wiens Bezirken sichtbar unterschiedlich hoch ausfällt. Oft beginnt Armutsgefährdung schon in der Kindheit und gerade in dieser Zeit ist sie besonders einschneidend. Dass in Österreich 23 Prozent der Kinder, also jedes fünfte Kind armuts- und ausgrenzungsgefährdet ist, ist – zynisch ausgedrückt – ein Armutszeugnis für ein so reiches Land. Mit großer Sorge blicken viele ExpertInnen auf die nächsten Monate, die hohe Inflation wird die soziale Ungleichheit noch verstärken. „Gerade in Zeiten der Teuerung müssen wir als Gesellschaft den Fokus auf die Sicherung aller Kinder in diesem Land richten und ins Handeln kommen“, so Hanna Lichtenberger, Kinderarmutsexpertin von der Volkshilfe, weiter.
Gäbe es in Österreich keine Sozialleistungen wären laut einer Berechnung vergangen Jahres 584 000 Kinder armutsgefährdet, also 37 Prozent der Kinder in Österreich. Eine der Expert:innen in Österreich für diese Thema ist Prof. Dr. Karin Heitzmann vom Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien. Anlässlich der Reichtumskonferenz, dem Pendant zur jährlich stattfindenden Armutskonferenz, sprach sie in ihrem Vortrag über die steigende Zahl der gefährdeten Kinder.
„Armutsgefährdung ist nicht fair verteilt„
Obwohl sich das Armutsgefährdungsrisiko von Kindern unter 14 Jahren in der Pandemie allgemein erhöht hat, sind die Benachteiligungen durch die Pandemie ungleich verteilt, wie Heitzmann eindrücklich darstellt. Es zeigt sich, dass vor allem zwei Haushaltstypen hervorstechen. In Ein-Eltern-Haushalten stieg die Zahl mit Ausbruch der Pandemie am drastischen von 31 auf 36 Prozent.
Ein weiterer großer Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Armut betroffen zu sein ist der Faktor der Staatsbürgerschaft. Hier sind es Unterschiede von 11% der Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die armutsgefährdet sind, und 50% der Kinder mit einer anderen Staatsbürgerschaft eklatant. Besonders oft und stark betroffen sind außerdem Kinder und Jugendliche in Haushalten mit mehr als drei Kindern.
All diese Zahlen sind nicht neu oder haben sich in Österreich erst kürzlich ergeben, aber die jüngsten Krisen – die Corona-Pandemie und die Inflation – haben sie noch viel schlimmer gemacht. Die Pandemie hat alle Österreicherinnen und Österreicher betroffen, jedoch waren die Beeinträchtigungen unterschiedlich stark zu spüren. Hier sticht ein Punkt besonders hervor: mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen aus einkommensschwächeren Haushalten dem gaben an, dass ihre psychische Gesundheit sich während der Pandemie verschlechtert hat. Die Zahlen aus einkommensstärkeren Haushalten lagen weit darunter.
„Denn Armut ist kein Schicksal. Armut ist eine Entscheidung. Der Gesellschaft und vor allem auch der Politik.“
Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich

Eine mögliche Lösung: die Kindergrundsicherung
Eine Hilfsorganisation, die Forderungen gegen diese Missstände zusammengetragen hat und sich auch mit einer Petition versucht Gehör zu verschaffen, ist die Volkshilfe. Dort wird unter anderem eine sogenannte Kindergrundsicherung gefordert. Dieses Konzept wurde 2019 entwickelt und in einem Pilotprojekt getestet. Auch beim diesjährigen Symposion der Volkshilfe war die Kindergrundsicherung eines der Hauptthemen. Das Ziel des Projekts ist, dass Österreich so das erste Land der Welt werden kann, das Kinderarmut abschafft. Die Grundsicherung für Kinder soll diese wirksamer, gezielter und nachhaltiger unterstützen als die derzeitigen, teilweise einmaligen, Unterstützungszahlungen und Kinderbeihilfen. Das könnte auch langwirkende volkswirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, so die Volkshilfe, da sie zu einer Umverteilung zu finanziell benachteiligten Gruppen führt. Die Weitergabe von Armutsgefährdung soll damit verhindert werden und aus armutsgefährdeten Kindern werden keine armutsgefährdeten Erwachsene.
Weiterführende Informationen:
Petition der Volkshilfe und Informationen zur Kindergrundsicherung
Broschüre „Kinderarmut erkennen & handeln“ der Kinderfreunde Wien
Aktuelle Zahlen zur Armutsgefährdung
Beitragsbild ©Michał Parzuchowski via unsplash.com